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Globale Kräfteverschiebung

Im Zuge der fortschreitenden Globalisierung in den letzten Jahrzehnten haben aufstrebende Schwellenländer wie China, Indien oder auch Brasilien ihre wirtschaftliche Bedeutung ausgebaut. Davon profitiert auch Deutschland. Allerdings gehen mit den globalen Kräfteverschiebungen auch geoökonomische Risiken einher.

Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs setzte ein rasantes Wachstum der Weltwirtschaft ein. Seit dem Jahr 1990 hat sich die weltweite Wirtschaftsleistung vervierfacht, die globalen Handelsströme legten um den Faktor sechs zu, die Bestände an Auslandsinvestitionen sogar um den Faktor 13 (UNCTAD). Das Wachstum der Weltwirtschaft hat aber nicht gleichmäßig stattgefunden, vielmehr waren es vor allem die aufstrebenden Schwellenländer Asiens und Lateinamerikas, die von der Einbindung in die Weltwirtschaft massiv profitiert haben. Mexiko und Südkorea sind seit vielen Jahren in den Kreis der OECD-Länder aufgestiegen. China gehört zu den Technologieführern in der Informations- und Kommunikationstechnologie, in der Anwendung von Mobile Payment und in der KI-Forschung. Brasilien, die mittlerweile neuntgrößte Volkswirtschaft der Welt arbeitet mit rasantem Tempo an der Digitalisierung seines großen Agrarsektors.

Wirtschaftliche Bedeutung Asiens wächst

Der Anteil der EU28-Staaten an der globalen Wirtschaftsleistung betrug im Jahr 1990 noch 32,8 Prozent, im Jahr 2018 waren es nur noch 21,9 Prozent. Auch der Anteil Deutschlands an der globalen Produktion ist seit 1990 (7,4 Prozent) auf zuletzt 4,6 Prozent zurückgegangen. Auf der anderen Seite konnten besonders die Länder Asiens ihren Anteil am weltweiten BIP in den letzten Jahrzehnten ausbauen. Hatte Asien im Jahr 1990 noch einen Anteil von 23,9 Prozent, waren es im Jahr 2018 bereits 37,0 Prozent. Klarer Gewinner dieser Kräfteverschiebung ist China: Mit einer Bevölkerung von rund 1 Milliarde Menschen im Jahr 1990 trug das Land nur 1,7 Prozent zur Weltproduktion bei; im Jahr 2018 waren es schon 15,9 Prozent. Indien erzeugte im Jahr 2018 ein Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Höhe von 2,7 Billionen US-Dollar, was seit dem Jahr 2000 eine Steigerung von 256 Prozent ausmacht. 

Ein ähnliches Bild ergibt sich bei der Betrachtung der globalen Handelsströme. Deutschlands Anteil am Welthandel ist seit 1990 (12 Prozent) deutlich gesunken (2018: 8 Prozent), ähnlich sieht es für die Länder der EU28 insgesamt aus (von 44,7 Prozent auf 33,3 Prozent). China konnte seinen Anteil am Welthandel hingegen um den Faktor sechs erhöhen (von 1,8 Prozent auf 12,8 Prozent). Angesichts der massiven Exportsteigerungen Asiens überrascht nicht, dass die asiatischen Länder in den letzten Jahrzehnten auch ihre Rolle als weltweit aktive und finanzkräftige Investoren ausbauen konnten.

Lateinamerika im wirtschaftlichen Aufschwung

Brasilien gilt als das wirtschaftsstärkte Land Südamerikas und erwirtschaftete allein 2018 einen BIP von 1,87 Billion US-Dollar, demnach hat sich die brasilianische Wirtschaftskraft seit 2000 verdoppelt. Das Land verfügt über einen Binnenmarkt von 210 Millionen Einwohnern und ist Deutschlands wichtigster Handelspartner in Südamerika und dort wichtigstes Zielland für Investitionen. Mexiko hat inzwischen über 120 Millionen Einwohner und gehört nach Brasilien zu den am stärksten industrialisierten Ländern Lateinamerikas: VW, Audi, Daimler, seit 2019 auch BMW – vor allem die deutschen Autobauer schätzen das Land als Produktionsstandort. Mexiko hat sich in den letzten Jahren zum größten Automobilproduzenten Lateinamerikas (Nummer sieben in der Welt) entwickelt. Bosch, Continental, Webasto und viele andere deutsche Automobilzulieferer sind in den lokalen Wertschöpfungsketten des Nord- und des Südamerikanischen Kontinents tief verwurzelt.

Positive Entwicklungen und geoökonomische Herausforderungen

Vom wirtschaftlichen Aufstieg der Schwellenländer hat Deutschland bisher erheblich profitiert. Deutschland konnte viel in diese Märkte exportieren, hat Produktionskapazitäten in den Schwellenländern aufgebaut und profitiert in der Heimat von ihren Investitionen. China ist mit einem Handelsvolumen von insgesamt 199,3 Milliarden Euro (Exporte plus Importe, 2018) Deutschlands wichtigster Handelspartner. Außerdem haben deutsche Unternehmen über die letzten Jahrzehnte massiv in China investiert und beschäftigen dort rund 767.000 Arbeitnehmer (2017). Ein weiterer Erfolgsfaktor deutscher Unternehmen sind außerdem die Zulieferungen aus asiatischen Ländern, die sich am gestiegenen Wertschöpfungsanteil ausländischer Importe in den deutschen Exporten abzeichnen. Diese enthalten mittlerweile zu einem Drittel Vorprodukte, die aus dem Ausland bezogen werden. 

Allerdings gehen die ökonomischen Kräfteverschiebungen hin zu den aufstrebenden Schwellenländern auch mit großen Herausforderungen für Deutschland einher. So ist die deutsche Industrie auf faire Rahmenbedingungen für den internationalen Handel angewiesen. In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg wurde ein solcher Rahmen aufgebaut. WTO, Weltbank, IWF, G7, G20 und eine Vielzahl ordnungspolitischer Leitplanken ermöglichen einen regelbasierten Handel. 

Mit dem zunehmenden ökonomischen Gewicht der aufstrebenden Schwellenländer nimmt ihr Einfluss auf diese internationalen Institutionen zu. Dadurch wird es für den Westen schwieriger, Druck auf die Staaten aufzubauen, falls sie internationale Standards nicht einhalten oder Reformbestrebungen des Westens nicht unterstützten. Erstmals in der Geschichte der Globalisierung könnten die ordnungspolitischen Rahmenbedingen durch nicht-westliche Staaten maßgeblich mitgestaltet werden. Leider spiegelt sich das gesteigerte wirtschaftliche und politische Gewicht dieser Länder noch nicht gleichermaßen in ihrer Bereitschaft und ihrem politischen Verantwortungsbewusstsein wider, in den internationalen Organisationen entsprechende Verpflichtungen zu übernehmen und Gestaltungswillen zu zeigen. Ausgerechnet in dieser entscheidenden Phase der globalen Kräfteverschiebung haben sich die USA seit der Wahl Donald Trumps aus der Rolle eines schwergewichtigen Mitgestalters der multilateralen Ordnung zurückgezogen und die Gestaltungskraft des Westens durch Handelskonflikte geschwächt. 

Politik vor großen Herausforderungen

Der Aufstieg Chinas und anderer Länder zu ebenbürtigen Wirtschaftsmächten ist genauso wenig aufzuhalten wie der Fortgang der Globalisierung. Im globalen Systemwettbewerb mit staatskapitalistischen Ländern wie China und Vietnam haben die westlichen Länder jedoch gewaltige Wettbewerbsvorteile zu bieten: Die schöpferische Kraft des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs, die Stabilität und Integrationskraft der Demokratie, oder die Attraktivität rechtsstaatlicher Verfassungen für Investoren Die Bundesregierung und Europäische Kommission müssen jetzt aber alles daransetzen, die Kräfte der Marktwirtschaft sowie die multilaterale Ordnung zu stärken. Engagement in den Foren der Global Governance wie G20, G7, WTO oder OECD ist dabei genauso notwendig wie ambitionierte Handelsdiplomatie und der Abschluss von Freihandels- und Investitionsabkommen.