Klimafreundliche Gase in Deutschland: Klimabeitrag und industriepolitische Bedeutung

Mit der Vollendung des Kernenergieausstiegs und den geplanten Kohlekraftwerksschließungen steht das deutsche Energiesystem vor einer großen Herausforderung. Durch einen schrittweisen Wegfall zweier wichtiger Säulen der Energieversorgung bekommt neben den erneuerbaren Energien vor allem Erdgas eine entscheidende Bedeutung für den Erhalt der Versorgungssicherheit und die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Energiepreise in Deutschland.

Wie schnell kann und soll das Gas vor dem Hintergrund der Klimaziele der Bundesregierung klimaneutral werden? Und welcher Ansatz bietet den effizientesten Weg für die Markteinführung klimafreundlicher Gase in Deutschland?

Das sind einige der zentralen Fragen, mit denen sich eine Gruppe von Experten aus Unternehmen und Verbänden, Wissenschaft und verschiedener Politikressorts im Rahmen des durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) initiierten Dialogprozesses „Gas 2030“ in den vergangenen Monaten befasst hat. Der BDI ist an diesem Prozess aktiv beteiligt und unterstützt die aktive Auseinandersetzung der Bundesregierung mit dem übergreifenden Thema Gas und den damit eng verbundenen Fragen der Wasserstoff- und Power-to-X-Technologien. Wie steht also die Industrie zum Thema „greening the gas“?

Die BDI-Studie „Klimapfade für Deutschland“ hat gezeigt, dass eine CO2-Reduktion von 80 Prozent bis 2050 gegenüber 1990 ohne den Einsatz von Power-to-X- (PtX) und Carbon Capture and Storage- (CCS) Technologien erreichbar ist. Dabei ist das Erdgas im 80-Prozent- und bis 2040 auch im 95-Prozent-Pfad eine tragende Säule der Strom- und Wärmeversorgung und ist nicht bzw. nur schwer ersetzbar in industriellen Hochtemperaturprozessen sowie in verschiedenen chemischen Produktionsverfahren. Eine weitere Erhöhung des Ambitionsniveaus der CO2-Reduktion bis auf 95 Prozent bzw. auf „80 Prozent + X“ macht allerdings die Implementierung von PtX und CCS-Technologien erforderlich.

International lassen sich mehr Treiber hinter der Entwicklung von PtX-Technologien bzw. wasserstoffbasierten Energiekonzepten feststellen. Nach Japan, das bereits 2017 seine Wasserstoffstrategie vorgestellt hat, arbeiten nun auch China, Großbritannien, Frankreich, Niederlande und Österreich an vergleichbaren Konzepten und/oder an der Implementierung erster Demonstrationsprojekte zum internationalen Transport und zur Nutzung von Wasserstoff. Für Japan und China sind es vor allem die Unabhängigkeit von Ölimporten, die Versorgungssicherheit sowie die Entwicklung einer Technologieführerschaft, welche die Technologieentwicklung auf diesem Gebiet vorantreiben. 

Es entsteht also ein neuartiger Markt mit neuen Exportchancen auch für die deutsche Industrie. „Neuartig“, da es einen Markt von Systemen darstellt, der von einer hohen Komplexität und Individualität einzelner Lösungen gekennzeichnet ist.

So kann die Markteinführung von Brennstoffzellenfahrzeugen erst dann erfolgen, wenn eine bedarfsgerechte Tankinfrastruktur für Wasserstoff, der klimafreundlich erzeugt wird, vorhanden ist. So wird eine PtX-Innovation erst im erforderlichen Gesamtsystem zum erfolgreichen Produkt.

Strategische Entwicklung von PtX-Technologien in Deutschland notwendig

Die Stärke deutscher Hersteller bei der Entwicklung von systemischen Konzepten ist sicherlich einer der Faktoren, der den derzeitigen hohen Weltmarktanteil von knapp 20 Prozent bei PtX-Technologien erklärt. Für den Erhalt und eine Ausweitung dieses Marktanteils ist vor dem Hintergrund der genannten internationalen Aktivitäten eine strategische Technologieentwicklung in Deutschland notwendig.

Der Einsatz klimafreundlicher Gase, als dritte Säule der Energiewende neben der Energieeffizienz und dem Ausbau von erneuerbaren Energien, muss daher aus Sicht des BDI in den Bereichen beginnen, in denen es einerseits mittel- bis langfristig einen signifikanten klimapolitischen Hebel hat, zugleich aber bereits kurzfristig den größten Schub für die Technologieentwicklung geben kann. Insbesondere eignen sich hierfür die Industriebranchen, die bereits heute Wasserstoff aus der Erdgasreformierung in ihren Prozessen nutzen, wie z. B. Raffinerien. Auch im Verkehrssektor eröffnen sich mit den anstehenden europäischen Review-Prozessen für Flottenemissionsgrenzwerte wichtige Möglichkeiten, um einen marktgetriebenen PtX-Technologiehochlauf anzureizen.

Dabei scheint angesichts der begrenzten Potenziale für die Herstellung strombasierter klimafreundlicher Gase in Deutschland direkte Nutzung von grünem Wasserstoff zumindest kurz- bis mittelfristig die effizienteste Einsatzmöglichkeit einheimischer Ressourcen darzustellen. Die derzeit viel diskutierte Beimischung von diesem begrenzt verfügbaren kostbaren Gut ins Erdgasnetz entwertet den grünen Wasserstoff und verteuert zugleich das Erdgas für die Endanwender.

Im Oktober 2019 wird das BMWi seinen Abschlussbericht zum Dialogprozess „Gas 2030“ vorstellen. Die nun eingeleitete Abkehr von einer „all-electric“ Ausrichtung der Energiewende ist aus Sicht der deutschen Industrie entscheidend für eine kosteneffiziente, verbraucherfreundliche, innovations- und wirtschaftsfördernde Transformation des Energiesektors in Deutschland und der Europäischen Union.

Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) über eine nachhaltige europäische Industrie

Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) beim TDI19 © BDI