© Fotolia/M. Johannsen

EU-Dual-Use Reform

Nach mehr als fünf Jahren haben sich die europäischen Gesetzgeber auf eine Reform der EU-Dual-Use-Verordnung geeinigt. Ziel der Reform war ein stärkerer Beitrag der Ausfuhrkontrolle zum Schutz von Menschenrechten. Die deutsche Industrie unterstützt dieses Ziel ausdrücklich. Die nun getroffene politische Einigung ist jedoch für Menschenrechtsschutz und Ausfuhrkontrollen ein unbefriedigender Minimalkompromiss.

Die Ausfuhrkontrolle von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck (dual-use) soll dazu beitragen, dass Güter, die zivilen oder auch militärischen Zielen dienen können, in ihrer kommerziellen Verbreitung eingeschränkt werden. Damit Kontrollen wirksam werden, hat sich die Staatengemeinschaft darauf verständigt, die Kontrolle von Dual-Use-Gütern in einem gemeinsamen Nicht-Verbreitungsregime, dem Wassenaar-Arrangement, verbindlich zu koordinieren. Gemeinsame und globale Ausfuhrkontrollstandards verhindern, dass Güter, die ein Staat in der Ausfuhr beschränkt, durch einen anderen am Weltmarkt angeboten werden.

Exportkontrolle an sicherheitspolitisches Umfeld anpassen

Unbestritten musste die europäische Exportkontrolle nach dem arabischen Frühling an ein verändertes technologisches und sicherheitspolitisches Umfeld angepasst werden. Behörden nutzten telekommunikationstechnische Überwachungsgüter (TKÜ), um soziale Netzwerke auszuspähen, und verübten gezielt Menschenrechtsverletzungen (Identifikation von Protestierenden, Verschleppung, Folter, gezielte Tötungen) zur Einschüchterung und Unterdrückung der Protestierenden.

Strittig war jedoch, wie dieses Ziel am besten erreicht werden könnte. Im Zentrum der Verhandlungen stand lange der Wunsch der Europäischen Kommission und des Parlamentes, die Ausfuhrkontrolle mit einem Paradigmenwandel an die Ereignisse des arabischen Frühlings anzupassen. So sollten verwendungsbezogene Ausfuhrkontrollen (Catch-All) den Missbrauch von TKÜ zur Verletzung von Menschenrechten ausschließen. Catch-All-Kontrollen waren bislang der Nicht-Verbreitung von Massenvernichtungswaffen verpflichtet. Solche Auffangregeln setzen auf die technische Kenntnis der Wirtschaftsbeteiligten. Als Spezialisten für ihre Produkte können diese sehr gut einschätzen, ob die Bestellung eines Gutes der Herstellung von Massenvernichtungswaffen dienen kann. Catch-All-Kontrollen für Menschenrechte lehnt die deutsche Industrie ab. Der Doppelschritt vom Gut zu dessen menschenrechtsrelevanter Verwendung und einer positiven Kenntnis über die Menschenrechtslage vor Ort drohte Rechtsunsicherheit zu schaffen.

EU-autonome Listung und Stärkung des Wassenaar-Regimes

Als Kompromiss hatte die deutsche Industrie eine EU-autonome Liste vorgeschlagen, um die Integrität der verwendungsbezogenen Ausfuhrkontrolle zu schützen. Eine solche Liste wäre ein unilateraler Eingriff außerhalb des Wassenaar-Prozesses gewesen, ist jedoch in Deutschland und Europa möglich. Damit eine europäische Verordnung den multilateralen Nicht-Verbreitungsregimen keinen Schaden zufügt, setzte sich der BDI für eine Selbstverpflichtung der im Wassenaar-Arrangement vertretenen EU-Mitgliedsstaaten ein. Diese sollten mit einer Stimme eine multilaterale Listung vorantreiben. So wäre ein befristeter Mechanismus sichergestellt, durch den die europäische Exportkontrolle an multilaterale Prozesse gekoppelt bliebe.

Zentrale Punkte der neuen Verordnung

Leider haben sich die europäischen Gesetzgeber auf Kontrollen geeinigt, die einen Spagat zwischen Listen- und Catch-All-Kontrollen versuchen. Konkret schafft der nun gefundene Kompromiss folgende Neuerungen:

  • Es wird eine listenbasierte Catch-All-Regel eingeführt, die einen sehr begrenzten Anwendungsrahmen abdeckt. Hier geht es ausschließlich um Güter, die der verdeckten Überwachung natürlicher Personen und der Analyse, Sammlung, Manipulation und Zerstörung von Daten und Systemen dienen können.
  • TKÜ, die von der Verordnung betroffen sein können, sind mobile Telekommunikationsabhörtechnik, Intrusionssoftware, Überwachungszentren, rechtmäßige Überwachungs- und Vorratsdatenspeicherungssysteme und Güter der digitalen Forensik.
  • Sobald ein Mitgliedsstaat (MS) der EU eine verwendungsbezogene Ausfuhrkontrolle für ein Gut anwendet, müssen die übrigen MS informiert werden und sich diese innerhalb einer Frist von 10 bis 30 Werktagen hierzu positionieren. Erfolgt kein Widerspruch, müssen alle im Wesentlichen ähnlichen Gütertransaktionen EU-weit kontrolliert werden.
  • Neue Allgemeine Genehmigungen sollen die Ausfuhr kryptografischer Güter und bestimmte unternehmensinterne Technologieweitergabe vereinfachen.
  • Neue Transparenzrichtlinien durch die EU-Kommission und den Rat sollen eine einheitliche Ausfuhrkontrollpraxis in der EU unterstützen.

Bewertung

Die oben genannten Punkte zeigen: Der europäische Kompromiss ist rechtsdogmatisch ungelenk, kompromittiert den Sinnzusammenhang zwischen Nicht-Verbreitung und Catch-All-Kontrollen und ist bei alledem lediglich ein Minimalkompromiss für einen effektiveren Menschenrechtsschutz.

Leider haben die europäischen Gesetzgeber die Gelegenheit verpasst, der ungleichen Ausfuhrkontrollpraxis in den MS ein Ende zu setzen und gleiche Wettbewerbsbedingungen für europäische Wirtschaftsbeteiligte zu schaffen. Zwar sollen Transparenzregeln und Maßnahmen zu einer verbesserten Kooperation zwischen den Behörden der MS den Weg für eine europäisierte Exportkontrolle ebnen. Die nun geplanten Schritte können jedoch nur ein allererster Anfang sein.